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Zurück in se reality

LagoaIch bin an dem Freitag vor zwei Wochen aus dem sitio weggefahren um dann am Montag nach São Paulo zu fliegen. Und wie ich ja bereits an dem Samstag geschrieben habe, habe ich mir noch für Rafael kräftig den Arsch aufgerissen, nur damit er im sitio bleibt. Aber ich hatte gleich schon so ein komisches Gefühl und abends habe ich dann von Claudia eine Mail erhalten, das Rafael nach einem Streit mit Vanderillo, über irgendein bescheuertes Schulheft, das Sitio verlassen hat. Tja, muss ehrlich sagen, vor drei Monaten hätte mich das noch stehend aus den Socken gehauen, diesmal habe ich nur kurz gedacht: Du Arsch, nochmal reiß ich mir für dich nicht so den Arsch auf (Wiederholung: 2 Punkte Abzug!). Als ich dann den Tag nach der Ankunft aus São Paulo auf der Straße war, habe ich ihn leider nicht getroffen, aber mich lange mit einer Straßenarbeiterin unterhalten, die ihn schon kennt, als er noch ein kleines Kind war , weil sie fast Nachbarn waren. Naja, und die meinte, Rafael hätte zu ihr gesagt, das er es dort im sitio nicht aushält, weil es eigentlich nur eine einzige Person gibt, die ihn wirklich mag, und das bin ich… .

Und das er mir das auch nie vergessen wird, was ich für ihn getan habe und das er hofft, ich würde es irgendwann verstehen, das er nicht da bleiben Siesta am Lagoakonnte… .Im Grunde verstehe ich es jetzt schon! Ich hatte ja bereits in der letzten Mail berichtet, das nicht nur die Kinder, sondern auch die Erzieher, die Kinder und Jugendlichen mit Freude immer wieder stigmatisieren. Da möchte ich auch nicht in deren Haut stecken. Eine Geschichte zu genau diesem Thema: Einer der älteren Jungs hat es ganz geschickt angestellt: er hat schon vorher Claudia gefragt, ob sie ihm nicht 10 Reais geben könnte, weil er Klamotten für sich bestellt hätte, die er bezahlen muss. Vor allem Claudia ist eine, die das Betteln der Kinder extrem verabscheut hat und trotzdem hat sie sich überlegt, ob er nicht einfach was für uns am Haus tun kann und sich so das Geld verdient. An dem Tag als Rafael kam, sind Claudia und ich abends noch hoch ins casa dos grandes, wo eben dieser Junge lebt und auch Rafael untergebracht war. Und irgendwann hat sich dieser Junge dann die ganze Zeit total bedröbbelt an den Rand gesetzt und uns beide immer ganz komisch an geguckt und uns dann irgendwann erzählt, ihm sei in der Dusche 10 Reais geklaut worden, die er ausversehen dort liegen lassen hat… ..aha! Uns beiden ist unabhängig voneinander sofort aufgefallen, in welche Richtung das ganze gerade geht und hatten beide den Mega-Hals… .So saß der Junge dann den gesamten Abend da, mit einem Gesicht wie 7 Tage Regenwetter und hat gehofft, das irgendwann einer von uns beiden sagt: Komm Junge, hier haste die Kohle!

Im sitioKEINER der Jungs würde jemals soviel Geld im Bad liegen lassen. Und selbst der educador meinte zu uns, das er sich nicht sicher ist, ob er das Geld überhaupt jemals besessen hat. Naja, und es gibt eben gute und es gibt schlechte Schauspieler… .Ey man, so abgewichst kann man doch schon gar nicht mehr sein… .und vor allem das dann auch noch an dem Tag zu machen, wo Rafael, der sitio-bekannte Klauer wieder da ist! Jaja, die niedlichen Straßenkinder… ..

Das heißt jetzt also, nur um mal ein kleines Resümee zu ziehen: Alle drei Jungs sind wieder zurück auf die Straße… .tja… .Keine Erfolg? Vielleicht ein Erfolg, weil wir ihnen gezeigt haben, das sich jemand mit vollem Herzen für sie einsetzt? Man weiß es nicht und ich werde es wahrscheinlich auch nicht mehr erfahren… aber irgendwas haben wir in den Herzen der drei mit Sicherheit hinterlassen und vielleicht wird dieses etwas zumindest für einen von ihnen irgendwann zu etwas wie einem Ansporn…

Ja und auch bei einer anderen Sache war ich etwas zu spät… .ich hatte die ganze Zeit dem Jean versprochen, der damals 101_0319.JPGChristine mit zum Flughafen gebracht hat, dass ich ihm das Bild entwickeln auf dem er im Flughafen zusammen mit Christine und Mery Helen drauf ist und an dem Tag, als ich es endlich mal geschafft hatte das Bild zu entwickeln (die banalsten Sachen brauchen oft die längste Zeit) haben sie Jean genau einen Tag vorher festgenommen und in den Knast gesteckt, aufgrund von Drogenhandel… .Naja und da sitzt er jetzt seit einem Monat. Ihn besuchen wird jetzt für mich wohl sehr schwierig sein, da ich ja kein Visum mehr habe und die mit Sicherheit meinen Reisepass haben wollen, bevor ich hier ins Gefaengnis rein darf.

Mal sehen, ob ich Jean nochmal wiedersehe, bevor ich nach Deutschland zurückkehre… .

Nayela ist übrigens auch wieder zurück auf die Straße. Aber das war mir eigentlich bereits nach dem Besuch von Adíla und Nayela in Horizonte schon klar. Ich glaube, da ist auch nicht mehr wirklich viel zu drehen. Es gibt einfach Kinder, da weiß man irgendwann ganz genau das sie es wahrscheinlich lange nicht schaffen werden von der Straße weg zukommen. Naja, so sind Nayela und ich jetzt wieder vereint und wenns eben am Lagoa ist. Ist schon komisch, der Terminal ist für mich schon fast so was wie ein kleines Zuhause geworden. Das hört sich jetzt bestimmt makaber an, aber es ist ja so, fuer die Kinder ist es ihr Zuhause und wenn sie einen eintreten lassen in ihre Welt ist es im Grunde genauso, als wenn man jemanden Zuhause in seiner Wohnung besucht, wo man sich vielleicht irgendwann auch sowas wie ein Stueck weit Zuhause fühlt. Ich weiß noch, Jonglieren am Lagoaals Claudia und ich von Canoa Quebrada zurückgekommen sind… Strandurlaub ist ja ganz schön und ich liebe Meer und Strand und alles was damit zu tun hat, aber irgendwann wird es mir zu langweilig, dieses Abhängen und nichts tun (jaaa, da wissen jetzt bestimmt einige ein Lied von zu singen). Zum zweiten hatte ich an dem Tag noch ein unangenehmes Telefongespräch mit Deutschland. Als wir dann mit Sack und Pack am Terminal ankamen (das war der Tag mit dem Diebstahl des goldenen Käses) habe ich ganz plötzlich ein Gefühl von Zuhause verspürt und war tatsächlich einfach nur glücklich… .absurd? ich weiß es nicht…

Ansonsten waren an den beiden Tagen die ich nach São Paulo auf der Straße war, gemeine Gang-fights an der Tagesordnung. Einer der Kinder hatte einen Typen aus einer Gang von Jugendlichen mit etwas mehr Geld, beklaut und so sind diese Jungs dann abends mit Knüppeln und anderen Bewaffnungen angerauscht und haben auf die Kinder eingeprügelt. Ganz entzückend war auch, das sie von uns Sozialarbeitern erwartet haben, das wir uns dazwischen stellen. Oh ja… .das ist bestimmt lustig… ! Man kriegt aber schon erst mal einen mordsmäßigen Schreck, wenn da laut schreiend eine Horde von Halbstarken angerauscht kommt und wahllos rumprügelt. Vor allem wenn man nichts machen kann, außer zusehen und hoffen, das die Wachleute irgendwas machen können. Die haben das ganze dann auch irgendwann in den Griff bekommen. Am nächsten Tag, saßen wir dort alle und haben im Grunde nur das Aussengeschehen beobachtet. Jedes mal, wenn 2 Jugendliche oder mehr ankamen wurde genaustens beobachtet. Irgendwann haben 2 Jungs mit ihrem Handy telefoniert, was ja eigentlich die normalste Sache der Welt ist und gleich waren alle wieder auf Alarmstellung. Oder ein anderer Jugendlicher ist am Rand in einen dunklen Wagen gestiegen und wir haben dann geguckt wo sie lang fahren, ob sie vielleicht einmal um den Terminal herum zurückkehren… ? Am Ende mussten wir dann aber auch über uns selbst lachen, wie wir dort zusammen saßen. Wie Geheimagenten, getarnt als Straßensozialarbeiter. In der Tasche unsere Tschackos und KungFu-Ausrüstung, immer bereit zum Angriff… .Sehr schön… Naja, solange man über solche Dinge noch lachen kann ist ja schön… !!

Im sitio ist alles beim alten… fast… ! Einer der Eduacadores ist gegangen worden, weil Bernardo mit seinen Erziehungsmaßnahmen nicht einverstanden war. Da kann ich aber ehrlich gesagt nur wenig zu sagen, weil ich davon nichts mitbekommen habe. Keine Ahnung ob es berechtigt war, oder nicht. Auf jeden Fall wird ein riesen Geheimnis darum gemacht!! Näheres folgt vielleicht.

Maiko und der DrachenMaiko und ich haben unsere Freundschaftsstreits wie eh und je. Maiko ist einfach so vernarrt in mich, das er es nicht aushält, sobald ich mich mit anderen Kindern beschäftige oder zu lange weg bin. So muss ich mir jedes mal, nachdem ich weg war, eine Salve an Beschimpfungen anhören, die dann jedes mal damit Enden, das ich sage, das es jetzt genug ist und ich erst mal nicht mehr mit ihm reden will. Das geht dann solange gut, bis wir uns irgendwann auf dem Weg begegnen, und beide versuchen ganz seriös und beleidigt zu gucken, bis beide fast gleichzeitig über soviel Blödheit lachen müssen und dann ist alles wieder wie vorher. Und das wiederholt sich jeden Tag ein bis zwei mal… eine echte Männerfreundschaft eben… äh… Frauenfreundschaft… äh… keine Ahnung, auf jeden Fall eine Art von Liebe. Manchmal etwas anstrengend, wenn Maiko mir mal wieder mit voller Wucht auf den Arm seine Streicheleinheiten kredenzt. Aber der/die Gute hat es halt nicht anders gelernt! Trotzdem finde ich ihn super! Man muss sowas halt einfach nur ein bischen kultivieren, dann macht es auch Spaß!!

Manchmal hab ich das Gefühl, Bernardo gibt uns irgendwelche Aufgaben, nur um uns zu beschäftigen… ich bin mir nicht ganz sicher! Aber erst macht er einen riesigen Wind um diese Interviews, und die Lebensläufe der Jungs, will sie am liebsten sofort haben und ich mache sie extra noch in São Paulo fertig und schicke sie per Mail. Als ich ihn dann zurück im sitio darauf 2 meiner lieblings-educadorenanspreche und frage ob er die Texte bekommen hat, guckt der mich an wie ein Auto und meint: „Welche Texte?” Und in dem Moment brechen meine ganzen voher aufgebauten Erwartungen von einem jubelnden Bernardo, zu mindestens einem Schulterklopfen… einem feuchten Haendedruck?… ein Danke?… wie ein Kartenhaus innerhalb von 2 Sekunden in sich zusammen! Und als er dann nach 5 Minuten überlegen und nach gucken stumpf sagt: „Ja die hab ich bekommen” und im selben Atemzug nach legt „Ich muss dann jetzt auch weiterarbeiten” gehe ich wie leer gefegt im Gehirn aus dem Büro.(Wer kennt es nicht, das Bild von dem vertrockneten Strauch in der Wüste, der langsam mit dem Wind durch den Sand gewirbelt wird… .Homer Simpsons) Und erst nach einer Minute nachdenken auf dem Weg zurück fällt ein wütendes „Du … ..” aus meinem Mund. Manchmal könnte ich wirklich… .ach nein, ich will diesen Gedanken jetzt auch nicht weiter ausführen. Keine negativen Energien… schockt nicht!

Eriswaldos Familie in FortalezaSo komme ich nun zu meinem Hauptteil dieser Mail: Mein Besuch von Eriswaldo in Lavras de Mangabera. Nochmal für alle zur Erinnerung: das ist der Junge, dem ich das Ticket zu seiner Mutter nach Hause bezahlt habe. Das ich endlich dort hinfahre wurde auch Zeit, denn seine ständigen Anrufe hier in der WG haben bereits für Aufruhr gesorgt, weil er ständig mit einer Nummer anruft, bei der der Empfänger bezahlen muss. Und das nicht nur einmal, sondern fast täglich. Und so war die Mutter der drein hier aus der WG etwas angesäuert, als sie die Telefonrechnung sah, und quasi hinter jedem zweiten Anruf Lavras de Mangabera stand… ..Davon habe ich allerdings nichts gewusst!!Hinterhof der Familie von Eriswaldo

Ich bin am Mittwoch vor meiner Reise nochmal zu seiner Familie hier in Fortaleza gefahren (meine Mutter sagt am Telefon immer so niedlich Fortalessa, mit drei sss). Dort war ich dann 2 Stunden und habe Fotos gemacht, mich lange mit Vina unterhalten, die übrigens seine Tante ist und nicht seine Stiefmutter (da hat mir das portugiesisch wohl wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht) und Mittag gegessen… .und ich weiß bis jetzt nicht, ob ich das nicht lieber gelassen Eriswaldoshätte… .Denn am nächsten morgen hatte ich vor meiner Abfahrt nach Fortaleza (ich bin ein Tag vorher schon nach Fortaleza gefahren, weil ich noch Geschenke einkaufen wollte) den Mega-Durchfall hatte, den ich dann aber dank Tabletten erst mal wieder in den Griff bekommen habe.

Bevor meine Geschichte jetzt so richtig beginnt, muss ich eben noch etwas anderes einschieben. Nachdem ich am Samstag Abend mal wieder in meinem zweiten Zuhause war, naemlich der Homodisko „Donna Santa”, bemerkte Lucas am Sonntag irgendwann im Auto, das ich so „schoene” grosse Unterschenkel hätte. Da hab ich nur gedacht „seit wann das denn”. Dann am naechsten Tag auf den Weg ins sitio, ist mir dann auch aufgefallen, das meine Unterschenkel irgendwie unangenehm wehtun. Ich habe dann im sitio meine Beine gekuehlt, bis dann am Mittwoch gar nichts mehr ging und ich abends mit Sergio ins Krankenhaus gefahren bin. Tja und was wars: Entzuendung der Muskulatur in den Unterschenkeln. Und jetzt ratet mal wo von!? Richtig: Zuviel und zu dolle getanzt. Erst die drei Partytage in São Paulo und dann am ende Donna Santa haben meinen Beinen den Rest gegeben. Das muesste euch jetzt eigentlich bekannt vorkommen: „Universo Paralello” in Bahia… da waren meine Beine allerdings noch angeschwollener. Ich sachs ja: Brasilien IST gefaehrlich!!

cimg7400.JPGSo bin ich also am Donnerstag nach Fortaleza. Habe mich dort mit Lucas getroffen und wir haben für Eriswaldo Klamotten gekauft, die Fotos entwickelt und für die Mutter 2 CD`s von einem brasilianischen Schnulzensänger gekauft. Am nächsten Tag bin ich dann um 7.30 mit dem Bus 8 Stunden lang nach „Lavras de Mangabera” gejuckelt. Einer winzigen Stadt inmitten der Céara, die keiner, aber auch wirklich keiner kennt! Alle haben zu mir gesagt, ich sei verrückt, das ich da hinfahre, vor allem, wenn ich da keinen kenne… naja keinen stimmt ja auch nicht! Eriswaldo hat mich dann vom Bus abgeholt nachdem ich dann erstmal 10 Minuten hilflos dort stand und 10 Leute auf mich eingeredet haben, wo ich denn hin will und ich dachte „ich bin verloren!” So bin ich dann aber doch gesund und heil am „Haus” von Eriswaldo angekommen und herzlichst von der Mutter aufgenommen worden! Und wie ich bereits geahnt habe, leben die beiden in den absolute ärmsten Verhältnissen. 2 Zimmer, die so groß sind, wie bei uns eine Abstellkammer, eine Küche mit anschließendem Klo, das nur durch eine durchsichtige Gardine von der Küche abgetrennt ist. Das heißt, wenn man duscht müssen alle aus der Küche raus! Und natürlich alles nicht wirklich sauber. Das Duschwasser bleibt unten stehen und fließt nicht ab, das heißt der nächste der duscht oder aufs Klo geht muss in die Gülle der anderen rein steigen. Klopapier gibt es aufgrund mangelndem Geldes auch nicht, das heißt man muss nach jedem Klo-Gang duschen. Die Mutter kocht mit einem Kohleherd und immer wenn sie kocht oder morgens Kaffee macht, ist die ganze Bude total verraucht. Außerdem gibt es keinen Kühlschrank und die verderblichen Sachen werden bei der Mutter von Lucie (der Mutter von Eriswaldo) gelagert. Eriswaldo mit Freundin

Das gesamte Viertel war extreme arm und irgendwie kam es mir nach 2 Tagen so vor, als würde in jedem zweiten Haus Familie von Lucie und Eriswaldo leben. Ich hab mir nachher auch nicht mehr merken können – nachdem wir dann im 10. Haus eingekehrt waren, zum Kaffee trinken, reden oder Forro tanzen – wer da jetzt mit wem und wie verwandt ist. Eine große Familie eben. Und alle arm… aber alle mindestens einen Fernseher und vielleicht auf Raten gekauften DVD-Player oder eine X-Box. Wie lange die dann im Haus bleibt, bis sie wieder aus Geldmangel verkauft wird, das lassen wir mal dahin gestellt. Nebenan von Eriswaldo wohnte die Schwester von Lucie, die oft schon mittags vom Cachaça total besoffen war und die dann irgendwann nebenan mit ihren Kindern laut pöbelte. Auf dem Weg zum Fluss hat sie mich dann gefragt ob ich auch Cachaça möchte… ach nö… danke!

Lavras de mangaberaDer kleine Sohn von ihr, 5 Jahre alt, war auch schon total verhaltensgestört und hat mich eigentlich ständig nur angebettelt und geredet wie ein Großer.

Ersiwaldo und ich haben dann nach meiner Ankunft erstmal zusammen lange auf dem Bett der Mutter gesessen und viel geredet. Als wir beide dort so einträchtig saßen und uns über Fortaleza und die Straße unterhalten haben, sind der Mama die Tränen gekommen. Eriswaldo geht es ganz offensichtlich super gut dort. Er hat einen Monat in der Schule bekommen um sich zu beweisen und da er sehr gute Noten geschrieben hat, kann die Mutter ihn jetzt immatrikulieren.

Mein Schlafplatz war eine Hängematte, die halb in der Küche hing und halb im Schlafzimmer der Mutter und ihres Freundes. Und als ich mich dann in der ersten Nacht völlig fertig in die Hängematte legte, merkte ich, wie innerhalb von Sekunden cimg7553.JPGmeine Körpertemperatur extrem anstieg und mir mein ganzer Körper weh tat und ich hab nur gedacht: „Nein, bitte nicht jetzt” So lag ich dort die ganze Nacht und hatte mit meiner Gesundheit zu kämpfen. Am nächsten Tag bin ich gleich zur Apotheke um mich zu dopen und ich habe versucht mir nichts anmerken zu lassen. So war ich dann mit Eriswaldo schwimmen im Fluss, Eis Essen, habe mit ihm seine Schule besucht, war am Sonntag bei seinem Fußballspiel, habe mit ihm Videogames gespielt. Dann haben wir noch eine Hose und 2 Shirts für ihn gekauft… .

Ich war in der Stadt natürlich total der E.T.. Ich glaub ich bin noch nie so angestarrt worden.Petri Heil

Eriswaldo war so furchtbar stolz das ich da war, und seine Mutter hat mir erzählt, das er schon vorher der halben Stadt erzählt hat, das ich komme. Und während der Zeit hat er mir so an die hundert mal gesagt, wie traurig er sein wird, wenn ich wieder weg bin. Als ich morgens in meiner Hängematte aufgewacht sind, lag Eriswaldo auf dem Bett der Mutter und hat mich die ganze Zeit beobachtet und gelächelt. Ich glaube ein bischen enttäuscht war er schon, als er gehört hat, das ich einen Freund habe. Das wär`s doch: Ich und der 15 jährige Eriswaldo!!

Ich muss sagen, die Zeit dort hat mir viel gegeben und viel gezeigt. cimg7437.JPG

Die Mutter hat mir auch viel von dem Vater von Ersiwaldo erzählt, der Eriswaldo und die Mutter, wenn er betrunken war, viel geschlagen hat. Lucie hatte am Bauch eine riesige Narbe von einer Stichverletzung, die ihr der Vater mit einem Messer zugefügt hat, als sie im 3. Monat schwanger war. Irgendwann hat Lucie dann auch mit dem saufen angefangen. Während der Vater allerdings noch immer säuft, ist Lucie total clean. Eigentlich kein Wunder, das Eriswaldo irgendwann auf die Straße abgehauen ist. Ich muss sagen: Lucie ist mittlerweile echt eine ziemlich coole Mama.

cimg7447.JPGUnd ich habe mich jetzt entschlossen, das ich gerne die Mutter monatlich unterstützen mochte. Das Geld soll dann für Eriswaldo sein, oder für so notwendige Sachen wie ein Kühlschrank (damit ich mir nicht nochmal der Magen verderbe) oder einen Gasherd.

Deshalb möchte ich hiermit einen Aufruf nach Deutschland schicken, ob nicht vielleicht irgendjemand Lust hat mit 20 Euro im Monat diese kleine Familie zu unterstützen. Ich bin der Meinung das eine solche Unterstützung auf jeden Fall sinnvoller ist, als eines der Kinder im sitio mit Geld zu unterstützen. Denn die haben im Grunde alles was sie brauchen. Und es ist doch viel schöner, wenn ein Junge von der Straße bei seiner Mutter sein kann, als wenn er aufgrund von Geldmangel in eine Einrichtung muss! Vielleicht findet sich ja jemand, der da Lust zu hat… und wenn es nur 10 Euro sind!

Der Oberwitz war dann allerdings, als am Sonntag irgendwann Vina aus Fortaleza anrief und Lucie gefragt hat, ob denn allescimg7470.JPG in Ordnung sei. Sie hätte Angst, das ich Eriswaldo mit nach Deutschland nehmen könnte. Ich sei ja so einfach gekleidet und sehe aus wie ein Hippie und vielleicht will ich Eriswaldo mitnehmen und ihn in Deutschland prostituieren. Man würde ja soviel darüber im Fernsehen sehen. Ich dachte wirklich im ersten Moment ich fall vom Glauben ab… .Da sieht man mal, wie fremd einem andere Menschen aus anderen Ländern sein können. Die haben wahrscheinlich noch nicht viele Deutsche getroffen, in ihrer Favela und kommen auch sonst nicht viel darum. Tja, da gibt es wohl auf jeden Fall Vorurteile auf beiden Seiten. Schade finde ich nur, das solche Dinge mal wieder denen in die Schuhe geschoben werden, die mit solchen Dingen noch am wenigsten zu tun haben, nämlich den Hippies. Typisch. Dreckige Klamotten = böser Mensch. Ich hab ja Verständnis für Vinas leicht schräge Gedanken, muss aber trotzdem sagen, das ich ein wenig angesäuert bin und das sie sich sicher sein kann, das sie nochmal einen Text von mir zu hören bekommt… und vor allem werde ich ihr den Tip geben, nicht soviel Fern cimg7466.JPGzu sehen, sondern mal mehr raus zugehen um den Horizont mal etwas zu erweitern. Denn die Armut entschuldigt auch nicht das Desinteresse an anderen Menschen und Kulturen, denn Fragen kostet ja bekanntlich nichts!!

Und nachdem dann das Wochenende total schön war, trotz Magenkrämpfe, kam natürlich noch ein kleiner Wermutstropfen: Wir sind dann alle abends noch ins Dorf gegangen, auf ein Fest, zum Forro tanzen. Lucie hat mir Klamotten von sich gegeben, damit ich mich ein bisschen schick machen kann (ich alter Hippie). Ich bin dann irgendwann etwas früher zurück, weil mein Magen nicht mehr so mitgespielt hat. Als die anderen drei dann kamen merkte ich gleich, das was nicht stimmt und der Freund von Lucie war ziemlich besoffen und redete wirres Zeug, von wegen: er würde jetzt, mitten in der Nacht um 3.00 Uhr mein Ticket kaufen gehen. Ich hab dann nur verstanden, das er meinte, Lucie würde ja gar nicht genau wissen, wie teuer das Ticket ist… ..Irgendwann hat Lucie dann eine riesige Tasche genommen und seine gesamten Klamotten da rein getan und sie vor die Tür gestellt. Der gute Mann wollte nämlich, besoffen wie er war, an mein Geld ran um sich noch mehr Alkohol zu kaufen… .Um 3.30 stand er wieder vor der Tür und bis 4.00 haben die beiden + der Mutter von ihm lautstark draußen diskutiert. Ich bin dann irgendwann eingepennt. Tja, schöne heile Welt. Eigentlich ja typisch, das solche Frauen immer wieder zu ähnlichen Männern zurückkehren. Mus nicht sein. Aber sie sind es halt nicht anders gewöhnt. Aber Hut ab, das sie ihn vor die Tür gesetzt hat und nicht NICHT um Geld gebeten hat.cimg7435.JPG

Schweren Herzens habe ich dann am Montag früh meine Heimreise angetreten und nachdem ich mich dann die ganzen Tage mega zusammengerissen habe, was meine Gesundheit betrifft, bin ich in den Bus eingestiegen und dachte in dem Moment ich soll auf der Stelle tot umfallen. Solche Magenkrämpfe habe ich ohne zu Lügen in meinem ganzen Leben noch nicht gehabt und nach 2 Std, in denen ich tatsächlich gebetet habe (was ich sonst nie tun würde) und der ernsten Meinung war, ich hätte einen Magendurchbruch und müsste jetzt hier im Bus sterben, bin ich zum Busfahrer, und habe gesagt, ich brauche einen Krankenwagen. So sind wir in einer kleinen Stadt zischen Lavras de Mangabera und Fortaleza angehalten und die Kartenverkäuferin hat einen Mann mit Auto angesprochen, der mich dann mittlerweile schon heulend und schreiend ins Krankenhaus gefahren hat. Da habe ich dann 2 Spritzen bekommen. Ich hätte weinen können vor Glück… .Der Bus hat auf mich gewartet und kurz nach dem ich eingestiegen bin, bin ich eingepennt und erst in Fortaleza wieder aufgewacht… .Man, cimg7512.JPGwar das ein Trip. Jetzt habe ich plötzlich eine dicke Nase. Immer noch leicht Fieber und Durchfall. Ich werde jetzt wohl mal zum Arzt gehen und mich durchchecken lassen… .Da machst was mit… ich sach ja, wie ein Auto: haste eine Sache, kriegste gleich alles andere hinterher!! Also: ab zum Arzt! Wird schon alles nur halb so schlimm sein.

Zum Schluss noch ein Anekdötchen. Kurzer Sprung zurück nach São Paulo: da Aluisio Musiker ist, kennt er natürlich viele Leute aus der Musikszene. So mussten wir nie bezahlen und standen immer auf der Gästeliste. Da mein Name zu schwierig war, haben mich die Leute tatsächlich 2 mal als Nina Hagen aufgeführt. Weil dies der einzige Deutsche Name war, der ihnen im ersten Moment eingefallen ist. Fand ich ganz geil eigentlich!!

So, und jetzt hab ich kein Bock mehr zu schreiben. Meine Kamera ist übrigens auch im Arsch und deshalb muss ich jetzt gleich erst mal zum Fotoladen und gucken ob ich die noch repariert kriege… .sonst muss ich mir wohl eine Neue kaufen.

Alles wird gut

Und so wünsche ich euch allen aus vollem Herzen und mit leichten Schmerzen

Licht und Liebe aus Brasulzien

Die Vipika

Veröffentlicht am 1.November 2007 um 12:08 im Straßenblog unter der Kategorie Barfuß in Brasilien

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