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Die volle Ladung sitio

wiebke3.JPGPeter und Joana, die derzeitigen 2 Praktikanten im sitio, sind dann am Samstag auch nach Fortaleza gekommen und wir wollten uns dann am Montag abend mit Beto (unserem Kombisfahrer) am Flughafen treffen, damit wir alle zusammen die neue Praktikantin abholen koennen und mit dem Kombi zurueck ins siotio fahren koennen (endlich nach Hause… ..aehhh… ). Wir haben dann mal wieder die volle Ladung brasilianischer Tugend abbekommen: Nachdem wir schon zwei Stunden dort standen und auf die neue Praktikantin gewartet haben und auch kein Beto in Sicht war, haben wir bei Sergio (unser sitio-Zusammenhalter) angerufen. Der hat dann bei Beto angerufen und nachdem Joana dann erneut bei Sergio angerufen hat, kam sie hysterisch lachend zu uns und hat uns eroeffnet: „Die neue Praktikantin kommt nicht mehr” Wir sind dann alle drei hysterisch lachend zusammengebrochen.

Es war mittlerweile fast 21.00 Uhr und die Strassen hier sind auch nicht gerade ungefaehrlich in der Nacht. So mussten wir dann mit dem Bus und viel Gepaeck (was die Sache natuerlich noch spannender macht) zum Siquera-Busbahnhof gefahren, von dem wir immer mit einem anderen Bus nach Maranguape fahren muessen. Dieser Busbahnhof gilt uebrigens als gefaehrlichster hier in Fortaleza… ..Zum Gleuck war der erste den wir dort getroffen haben einer der Jungs die ich vom Lagoa kenne. Mit dem habe ich mich dann erst mal lange unterhalten und er hat uns die andern Kinder vom Hals gehalten und verscheucht… .Da sieht man mal wieder, wie gut doch Beziehungen sind. Vitamin B… ..juchheee.
So war ich dann also „endlich” wieder zurueck in meiner Homebase und bin auch gleich am naechsten Tag mit voller sitio-Ladung begruesst waren. Wir waren naemlich mit den aelteren jungs im Kino. Der Film an sich „Uma noite no museo” (Eine nacht im Museum – amerikanischer Humor mit Ben Stiller – kann es schlimmer kommen frag ich euch?) war schon schlimm, aber richtig schlimm (oder aber auch schreiend komisch) war Regis (gesprochen Hedschies), der sich an diesem Tag irgendwie zum Ziel gesetzt hatte, mich Flach zu legen. Er ist 16… .Jedenfalls hat er neben mir staendig so komisch rumgestoehnt, hat mehrmals versucht meine Hand auf seinen Schwanz zu legen, hat seinen Ellbogen an meinen Bruesten gerieben und mich gefragt, ob ich nicht mit ihm Poppen will (das war uebrigens seine erste Frage, als ich ihn morgens bei der Gartenarbeit getroffen habe – ich ueberlege gerade, ob er vorher ueberhaupt hallo gesagt hat – denke nicht!) Als ich ihn dann lachend gefragt habe, wie alt er denn sei und als ich dann gesagt habe, wie alt ich bin, war sein Kommentar: „Um so besser!” wiebke1.JPGWas soll ich zu so einem schlagenden Argument noch hinzufuegen. Haaach, war das herrlich, neben mir der total riemige Regis hinter uns die anderen lachenden, albernen Jungs, die mit Papierkugeln geschmissen haben. Letztendlich hat Peter, der Erzieher dann lediglich bemerkt, das ich und Joana jahwohl sehr laut gewesen waeren und immer so laut gelacht haben. Ja, irgendwie muss man ja uber solche Dinge hinweg kommen, und was hilft da besser, als herzhaft zu lachen… …
Ich habe jetzt gerade auf jeden Fall den tierischen Muskelkater, weil ich vor zwei Tagen angefangen habe, mir von den Jungs FlicFlac und Salto beibringen zu lassen… und das in meinem Alter… .Jedenfalls habe ich jetzt Muskelkater, der sich bis in den Hals hochzieht. Ach ja: Vorher haben wir mit den aelteren Jungs noch 2 Stunden Volleyball gespielt und danach waren wir 2 Stunden im See um mit den Kleinen schwimmen zu ueben… ..Emanuel und ich waren gestern in der Stadt und haben Silvinia ne Freundin besucht und immer wenn Emanuel schneller gegangen ist, bin ich nicht mehr hinterhergekommen… .Es ging einfach nicht… und Treppen steigen schon gar nicht… .ich sag ja: Spocht ist Mord! Aber den FlicFlac werde ich jetzt durchziehen, bis ich den kann und wenn ich irgendwann nur noch kriechen kann… .mir scheissegal!!

Das sitio und Maranguape sind in der Zwischenzeit total gruen geworden. Richtig schoen… aber das Ganze hat auch einen Nachteil: Mueckeninvasion!!!!Unglaublich… ich glaube zur Zeit befinden sich alle Muecken dieser Welt bei uns im sitio… vielleicht sowas wie ein Goafestival fuer Muecken… Man ist also eigentlich ab ca 17.30 wenn die Sonne so langsam unter geht, nur damit beschaeftigt, sich auf irgendwelchen Koerperteilen rumzukloppen. Sieht lustig aus, ist es aber nicht! Wenn man nachts aufwacht und nicht schlafen kann, hat man trotzdem keine andere Moeglichkeit als unter dem Moskitonezt liegen zu bleiben, was einen natuerlich nicht weniger hippelig macht… .und wenn man sich nachts falsch bewegt, stechen die Muecken einen eben durch das Netz… .
Aber dafuer sind gerade tausende von Gluehwuermchen nachts zu sehen, wenn wir abends zum essen in die Haeuser gehen ist es, als wenn man durch einen Zauberwald durchgeht oder aber wie in der Disko. Muss unbedint nochmal versuchen, das zu Filmen.
Wir sind neulich um 4.30 aufgestanden und sind zum Kreuz hoch ge… krochen und wollten uns den schoenen Sonneaufgang angucken… hatten kurzzeitig vergessen, das wir in Brasilien sind… wurden aber schnell wieder daran erinnert, als sich genau in dem Moment, wo die Sonne aufging, eine riesige Wolke genau davor schob, und erst wieder wegging, als die Sonne aufgegangen war… Tja, hier geht eben nichts ohne Hindernisse ueber die Buehne, ob nun in der Policia Federal (mein 2. Zuhause) oder am Flughafen oder wenn ich zur Post gehe um ein Geburtstagspaket zu verschicken (das verschicken war teurer als der Inhalt) und ich auf den Zettel schreiben soll, was drin ist und der Postbote sagt „Das duerfen sie aber nicht verschicken” (kann jetzt natuerlich nicht sagen, was das war) und ich zur naechsten Post und was anderes drauf schreiben muss. Fehlt jetzt eigentlich nur noch, das sie das Pakte beim Zoll oeffnen, es nie ankommt und ich letztendlich noch ne Anzeige bekomme… .wuerde mich ehrlich gesagt auch nicht mehr wundern… .Ich kann mich noch gut an die Worte in der zweiten Mail von Bernardo erinnern, als ich noch in Deutschland war und versucht habe, ein Visum fuer ein Jahr zu bekommen „… .hier in Brasilien ist alles etwas schwieriger… ” Da hat er mal recht gehabt… .der bernardo… Das soll sich jetzt alles uberhaupt nicht negative anhoeren, denn ich finde, man kann dadurch durchaus viel lernen… .vor allem Geduld. Und Zeit haben. Sollte man die nicht haben, wird sie einem auf jeden Fall gegeben… .Selbst einen Nagel fuer ne Waescheleine zu bekommen dauert hier bei uns im sitio schon mal ein Monat… ..ist wahrscheinlich der selbe Laden, in dem es auch das Holz fuer die Stelzen gibt, die wir schon seit 2 Monaten bauen wollen… …
Was es ausserdem zur Zeit in Massen gibt bei uns im Sitio sind Mangas. Es liegen mittlerweile bestimmt 3 riesige Tueten bei uns auf dem Boden und immer wieder kommt einer der Jungs oder ein Erzieher mit ner neuen Tuete und will uns ne Freude machen. Morgens gibts jetzt immer fett Mangasaft… .kann man sich daran eigentlich auch vergiften… ?
Neulich hatten wir mit einem der Jungen mal wieder was ganz bezeichnendes fuer die sitio-Jungs. Er hat Joana gefragt, ob sie ihm ein deutsch-brasilianisches Woerterbuch schenkt, daraufhin hat sie ihn gefragt, ob er denn nicht auch Geld verdient. So, und jetzt seine Antwort: „Bitten ist einfacher als Arbeiten!” Und als sie dann sagte ich bezahl die Haelfte und du die andere, war er im hoechsten Masse beleidigt… und genau das ist die Einstellung der Jungs, die mich immer wieder ankotzt… .
Ach ja, hab ich euch eigentlich schon mal von unserem reichhaltigen Essensplan erzaehlt: Montag mittag: Reis, Bohnen, Fleisch, abends: Reis, Bohnen und Fleisch. Dienstag mittags: Reis, Bohnen und Fleisch, abends: Reis Bohnen und Fleisch, Mittwoch: Reis… … (Fleisch faellt bei mirals Vegetarier natuerlich flach)…Ja… das ging so lange gut bei mir, bis ich nach ca. 2 Monaten abends beim Essen sass und mir ungelogen ploetzlich das Essen im Hals stecken geblieben ist und ich wuergen musste… Seit dem versuche ich ab und zu nicht das sitio-essen zu essen, sondern auch mal was anderes zu kochen… .Sonst komme ich nachher als Reis und Bohne nach Hause… .Also sollte mir einer von euch ne Freude machen wollen und fuer mich kochen: bitte kein Reis und keine Bohnen… bitte nicht!!!
Zu guter Letzt noch was super schoenes: ich habe jetzt endlich mal mit Sergio uber die Spende gesprochen die ich jetzt noch habe, nachde ich schon so einiges gekauft habe, an Material zum basteln, Baelle, Medikamente,Klamotten… sin des noch ca. 1000 Euro. Da hat Sergio sich tierisch gefreut und gemeint, wir koennten damit mit allen Jungs einen Ausflug an den Strand machen. Die kommen naemlich im Grunde nie aus dem sitio raus. Ausser die Kinder, die mal noch manchmal in ihre Familien fahren und da haben sie auch kein Geld fuer Ausfluege. Ausserdem machen sie eigentlich jedes Jahr einen Ausflug, nur hat Bernardo wohl dieses Jahr kein Geld dafuer… .Ich glaube wenn das klappt, freuen sich die Kinder den A… .ab. Sergio hat gestern schon mit Brenardo gesprochen und der will jetzt noch mal am Montag mit mir reden… .Sergio meinte dann zu mir, er wuerde vorher aber nochmal mit mir reden, wie ich mit Bernardo darueber sprechen muss… .
Der soll mal nein sagen, dann mach ich da aber richtig rabatz… ..und wie das aussieht, wisst ihr ja sicherlich alle! Hehe… .schoenen Gruss!
Ausserdem werde ich Djemie ein gutes Fahhrad kaufen. Das ist der mit dem ich damals in Fortaleza Schuhe kaufen war, der noch nie eine Patin/Paten hatte, weil einige hier 5 Paten haben, weil sie kleiner und niedlicher sind und sich das Foto somit besser „verkaufen” laesst. Ausserdem ist Djemie einer, der nie um etwas bittet und er wird das sitio bald verlassen und so kann er das Fahrrad auf jeden Fall richtig gut gebrauch um z.B. zur Arbeit zu fahren..oder zu einer seiner 5 Freundinnen… muss man ja auch mal bedenken… .Kann er die (eine) Freundin auf seinem Fahrrad mitnehmen und dann fahren sie gemeinsam ins Motel, die es hier zuhauf gibt, fuer die Brasilianer, die ihr „Freundin” nicht mit zur Frau und Kindern mit nach Hause nehmen koennen. Die haben dann so Namen wie „Lua de mel” (Honigmond). Hach ja… .zu was so ein Fahrrad doch alles gut sein kann… jedenfalls bekommt Djemie jetzt ein Fahrrad!
Wenn wir dann den Ausflug gemacht haben und ich das Fahrrad gekauft habe, werde ich mich nochmal mit Sergio zusammen setzen und ueberlegen, was man mit dem restlichen Geld noch machen kann.
wiebke2.JPGUnd jetzt zu aller guter Letzt: ich werde wahrscheinlich Patin und zwar von Antonio filho. Antonio filho ist 7 Jahre alt und Zuckersuess, aber schon ein richtig kleiner Macker. Neulich hat er nach dem Baden im See, wie ein kleiner Koeter mein Bein begattet. Wenn er mich in den Arm nimmt, nennt er mich – total sues – Vivikinha (fuer alle deutschen – gesprochen: Wiewiekinja), sobald er sich dann zu seinen Kumpels umdreht, erzaehlt er denen leise, das er mich vernaschen will… ..es sei ihm verziehen. Dem kleinen Wicht.
Und mit all diesen schoenen Sachen schliesse ich fuer heute meinen Bericht ab und hau noch mal eben ne Lebensweisheit raus:
„Die Liebe ist der einzige Weg, auf dem selbst die Dummen zu einer gewissen Größe gelangen”

Veröffentlicht am 30.Januar 2007 um 12:26 im Straßenblog unter der Kategorie Barfuß in Brasilien

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