Mädchentheatergruppe Neue Vahr präsentierte ihr vorerst letztes Stück
“Die Gedanken sind frei, keiner kann sie erraten” – Mit diesem Lied verabschiedeten sich die fünf Schauspielerinnen der Mädchentheatergruppe Neue Vahr am 4.03.2009 von der Bühne. Bevor ein tosender Applaus einsetzte, saß das Publikum in der Mehrzweckhalle des Jugendfreizeitheims Bispinger Staße einige Sekunden reglos da. Es war kein leicht verdauliches Stück, das unsere Theaterpädagogin Wiebke Jopp und ihre Mädchentheatergruppe präsentierten. Nach vierjähriger Zusammenarbeit ist die Truppe reifer geworden, die Darstellung tiefgehender, intensiver, die Themen ernster: Das Publikum, das diesmal nicht vor einer Bühne saß, sondern mitten im Geschehen, sollte sich nicht einfach amüsieren, sondern wurde indirekt aufgefordert, die Arbeit der mittlerweile fast erwachsenen „Chicks and Queens“ tatsächlich auf sich wirken lassen.
„Abgang“ zeigt die Fantasien fünf junger Frauen, die nacheinander aus dem puppenstubenartig aufgebauten Bühnenbild ins Rampenlicht treten:
Die 17-jährige Marina H. spielt ein äußerlich angepasstes, unscheinbares Mädchen, das während der Vorbereitungen für das Abendessen ein Massaker an ihrer Schule plant. Spätestens, als sie voll kühler Grausamkeit eine Tomate zerquetscht, dass das Fruchtfleisch nur so spritzt, wird den Zuschauern klar, dass dies möglicherweise kein Witz ist…
Wiebke J. selbst spielt eine Klofrau, die sich vorstellt, dass sie auf einem rauschenden Fest die einzige ist, die die verstopften Toiletten retten kann: „Die Mariedl macht’s auch ohne“ – mit bloßen Händen greift sie in ihrer Fantasie tief in die Exkremente der Feiernden, zur Belohnung lässt man sie hoch leben.
Die 17-jährige Melanie P. erzählt, wie sie zusammen mit ihrem Freund Molotowcocktails in leer stehende Häuser wirft und beeindruckt mit einem rasenden Wutausbruch zu dem Song „Firestarter“ von der Gruppe „The Prodigy“.
Zwischendurch tritt immer wieder Mandy R. auf die Bühne, setzt mehrmals zum Monolog an, nur um verzweifelt wieder zurück in ihre Puppenstube zu laufen –Worte findet sie nicht, es bleibt ihr nur ihre Flasche Wodka.
Tief berührt auch der Monolog der 16-jährigen Gökce Ü., die unter Tränen erzählt, wie viel Mühe sie sich gibt, um zu gefallen: Strengste Diät, teure Kleidung, und trotzdem erinnern sich die Leute nicht einmal an ihren Namen. Zum Schluss kommen die fünf zusammen: „Wie schön wir es doch haben!“ Ist das so?
Das von der Gruppe selbst entwickelte Stück regt zum Nachdenken an. Über Einsamkeit, über Liebe, über die Selbstbilder junger Frauen. Über das, was man von außen sieht und über das, was sie tatsächlich denken. „Abgang“ ist das letzte Stück der Mädchentheatergruppe Neue Vahr. Nach vierjähriger Zusammenarbeit sind die Mädchen, die allesamt einen Migrationshintergrund haben, flügge geworden und gehen nun ihre eigenen Wege, bei denen wir ihnen alles alles Gute wünschen! (We will miss you, Sweeties!)
Und dann sind wir gespannt, was Wiebke Jopp nächstes Jahr mit einer neuen Truppe präsentieren wird. Eins ist sicher: Es wird Theaterpädagogik mit höchstem Anspruch bleiben, die die Lebens- und Gefühlswelten der jungen Mädchen auf sowohl ehrliche als auch künstlerisch-originelle Weise beeindruckend direkt auf die Bühne bringt.

Veröffentlicht am 9.März 2009 um 15:00 im
Straßenblog unter der Kategorie
Regionalteam Ost
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